Interrail – der Mythos unserer Jugend: ein Ticket, zahlreiche Züge und ganz Europa stand uns in den Ferien offen. Ganz Europa?
Na ja, zumindest der „Westen“. Aber wie ist das 25 Jahre später? Mit Kindern? In Italien? Zusammen mit meiner Familie habe ich das neue Interrail zwei Wochen ausprobiert.
Entspannt nach Milano Centrale
Start 11.08.2019 – Direktzug Karlsruhe Milano Centrale. Ankunft: 15:50 bei strahlendem Sonnenschein, die Frisur hält, der Zug ist zu früh (trotz 15 Minuten Verspätung in Deutschland) und der Taxifahrer bringt uns in weniger als 20 Minuten ins Hotel. Perfetto. So kann der Urlaub beginnen zwischen Duomo und San Siro Stadion in der Großstadt Mailand. Zwischen historischer Stadtbesichtigung und moderner Architektur. Ohne Stau. Umweltbewusst. Ohne Reiseübelkeit. Ohne Schweizer Autobahngebühr… und vor allem völlig entspannt neben der A5 entlang.
Aber doch ist das Gefühl von Freiheit ein wenig verflogen beim Interrail 2.0, denn auch hier holt einen die EU-Bürokratie – oder ist es die Bürokratie der verschiedenen Bahnen – ein. Von wegen einfach Ticket lösen und losfahren. Erstmal registrieren im Internet auf interrail.eu, dann das passende Ticket bestellen. Okay, ein wenig haben wir dann auch mit der 1. Klasse upgegradet und den Reisekomfort unserem Alter angepasst. Aber beim Eintragen jedes einzelnen Reiseschrittes auf dem Interrail-Ticket (der Interrail-Fahrer des 21. Jahrhunderts bucht kein Monatsticket mehr, sondern zahlt für die Anzahl der Fahrtage) wird es dann schon ein wenig lästig, gerade wenn man zu dritt ist. Heute kann man zwischen Global Pass und z.B. One Country Pass wählen. Aber außer den deutschen Zugbegleitern scheint die Tickets eh keiner zu kennen; übrigens: diese Zangen zum Abknipsen gibt es auf dieser Fahrt nirgends mehr weder in Italien noch in der Schweiz. Kennt scheinbar nur Deutschland.
Rom – die ewige Stadt
Drei Tage später brechen wir von Milano Centrale auf, um in die ewige Stadt zu gelangen. Mit der U-Bahn mal eben zum Bahnhof. Dann ab zum Bahnsteig, den man in Italien übrigens nur mit Ticket begehen kann. Was auch auffällt: Sicherheit, Polizei und Militär an jeder Ecke. Dann beginnt das Abenteuer mit der italienischen Bahn. Genau genommen mit dem Frecciarossa. Diee Züge jagen mit 300 Stundenkilometer den Stiefel hinunter und entlassen uns vor der Zeit am Roma Termini – inklusive kostenlosem Kaffee, Wasser und Snack in der Business Class. Nur der Zugang zur Lounge wird uns verwehrt, denn in Italien gibt es vier Klassen und bis „Executive“ ist es ein teurer und steiniger Weg. In Rom genießen wir Geschichte zwischen Kolosseum und Forum Romanum, sehen den Petersdom… von außen (Tickets hätten wir mindestens drei Monate vorher buchen müssen) und genießen zahlreiche Museen, Kulturschätze – und den römischen Bioparco (Zoo mit artgerechter Haltung). Und noch eine schöne Entdeckung: der Park Borghese.
AS-Rom-Trikots öffnen Herzen
Tipp an alle Fußballfans von unserem 9-jährigen kickenden Sohn: das aktuelle Aufwärm-Trikot von AS Rom (Saison 2019/20) sieht nicht nur super aus, sondern der AS ist in der Stadt eh viel beliebter als Lazio und öffnet buchstäblich Herzen und Türen. Nach unserer antiken Tour quer durch Rom und Druckbetankung in Sachen Republik, Ermordung Cäsars und gefühlten Tausenden von Intrigen im Kaiserpalast, dem Vatikan und noch an hunderten von weiteren Stellen, wollten wir endlich mehr über die Medici und die Uffizien (Tickets rechtzeitig gebucht!) erfahren.
Also auf nach Firenze in die Toskana. Aufbruch zum Roma Termini – ab zum Zug und rechtzeitig eingestiegen, denn hier schließen die Türen 1 Minute vor Abfahrt. Vielleicht eine Geheimformel, warum hier gefühlt alles pünktlicher ist als in Deutschland – und auch die längeren Verweildauern im Bahnhof der Züge tragen aus unserer Sicht zu einem entspannteren Reisen bei. Wobei unsere Beobachtungen nur auf wenigen Fernverkehrs- und Hochgeschwindigkeitszügen beruhen und das Thema Pünktlichkeit ansonsten nicht so ganz oben auf der Agenda in Italien zu stehen scheint.
Hauptstadt der Renaissance
Angekommen in Florenz am Hauptbahnhof mitten in der Stadt. Wie schon Mailand und Rom ist auch hier der Bahnhof – eine Architektur-Ikone der 1930er Jahre – zur unterirdischen Shopping-Mall ausgebaut. Von hier rollern wir also bei 32 Grad gemütlich mit unseren Koffern zum Innenstadthotel, gleich um die Ecke vom Platz der Republik. Morgens beim Klang der Florentiner Glocken aufstehen, dann erkunden wir mit der App Quest einen Vormittag lang die komplette Innenstadt und lösen das Rätsel um das geplante Attentat auf Lorenzo von Medici – auch il Magnifico – genannt. Unser Großer ist begeistert, nicht immer macht Kunst, Kultur und Stadtbesichtigung so viel Spaß mit den Eltern.
In jeder Stadt haben wir auch Hop-on Hop-off Busse genutzt, eine schöne Möglichkeit entspannt einen Überblick über die jeweilige Stadt zu erhalten, mit mal mehr mal weniger gut aufbereiteten Informationen. In Florenz ist bemerkenswert, dass diese Busse nicht ins historische Zentrum fahren dürfen, hier dominieren Golfcarts, die scharenweise Touristen aus allen Herrenländern, aber mit deutlichem asiatischen Übergewicht, die Stadt zeigen.
Uffizien!
Nach drei Tagen, davon einen Vormittag in den Uffizien und der „Geburt der Venus“, haben wir eine Idee davon, was Florenz ist und welche Bedeutung diese Stadt für die Entwicklung der Renaissance hatte.
Noch ein Wort zu den Uffizien: mit den vorgebuchten Tickets funktioniert es prima. Und ein großes Lob an alle Menschen, die in den Museen, Kirchen, Kulturdenkmälern und, und, und arbeiten. Wir haben dort nur entspannte und freundliche Leute getroffen, die geduldig auch zum hundertsten Mal die gleiche Frage beantwortet haben. Danke dafür!
Noch einen Abstecher mit dem Mietwagen zu Freunden in die Toskana. Den Mut zum Regionalverkehr hatten wir dann doch nicht. Dann fahren wir nach bereichernden zwei Wochen Interrail durch Italien wieder zurück nach Florenz über Mailand, Zürich nach Karlsruhe.
Hektisch wird es nur am Bahnhof Zürich. Aber geschafft! Nach zwei erholsamen Wochen, vielen neuen Eindrücken, freuen wir uns jetzt wieder auf den Alltag – und die nächsten Interrail 2.0-Reisen sind in Planung. Wie schnell man wohl mit dem Zug nach Barcelona kommt? Und was könnte man da auf der Zugfahrt wohl noch alles besichtigen?
Der ohfamoose Gastautor Daniel Wensauer-Sieber beschreibt sich als Ehemann, Vater und Unternehmensberater – und ist reiselustig sowie experimentierfreudig.
Erstveröffentlicht auf Blog ohfamoos am 13. Februar 2020 unter
https://www.ohfamoos.com/2020/02/eine-kultur-tour-durch-bella-italia-mit-interrail/