„Denn Zeit ist Leben…“: Herausforderungen zwischen Zeitmanagement und Zeitsouveränität
von Daniel Wensauer-Sieber, Partner von sieber l wensauer-sieber l partner
Viele erinnern sich noch an Momo, das kleine Mädchen, welches gegen die grauen rauchenden Herren antritt, die die Zeit stehlen – und zum Schluss in Michael Endes Roman als Gewinnerin hervorgeht und die Zeit befreit.
Was wäre, wenn auch unsere Zeit „befreit“ wäre? Was bedeutet eigentlich „Zeit haben“? Womöglich erleben wir in diesen Tagen einen stärkeren Zeitdruck und ein hohes Maß an Komplexität: Home Office, Klarkommen mit neuen Strukturen, veränderten Vorgehensweisen bis hin zu permanenten Videokonferenzen, Home Schooling als Doppelbelastung, und, und, und – aber auch in normalen Zeiten ist schon nicht genug Zeit, um all das Notwendige, Schöne, Gewollte zu realisieren. So waren mehr als 35 Prozent der Deutschen in einer Studie[1] der Meinung, unter Zeitknappheit zu leiden. In einer Umfrage zu Vorsätzen für das Jahr 2019 gaben über 60 Prozent an, mehr Zeit für die Familie haben zu wollen, mehr als die Hälfte wollte daran arbeiten, mehr Zeit für sich selbst einzuplanen[2] – wie vielen es wohl gelungen ist, diese guten Vorsätze umzusetzen? Und überhaupt: wie kann man mit Zeit besser umgehen?
Eine Möglichkeit ist, seiner Zeitpersönlichkeit näherzukommen, um so besser, weil individueller mit sich und Zeit umgehen zu lernen. Die eigene Zeitpersönlichkeit kennenlernen heißt, herauszufinden, wie man persönlich in Bezug auf den Umgang mit Zeit tickt, wie die Arbeitsgewohnheiten sind, wo die persönlichen Stärken und Entwicklungspotentiale liegen und schlussendlich, welche Methoden und Werkzeuge einem wirklich helfen, den Tag so zu strukturieren, dass man sich wohlfühlt und zufrieden ist. Was der einen ihre To-Do-Liste ist, ist dem anderen seine Mindmap, wo der eine auf die Eisenhower-Methode schwört, verfolgt die andere die pomodoro-Methode, um erfolgreich mit Zeit umzugehen.
Denn die schlechte Nachricht ist: es gibt weder die eine Methode noch das eine Werkzeug, das für alle gleichermaßen passt, um das eigene Zeitmanagement-Problem zu lösen. Oder wie es Momo ausdrückt:
„…denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“ MOMO
Status quo ermitteln – Ziele stecken
Um sich auf den Weg nach der eigenen Zeitpersönlichkeit zu machen, ist ein sinnvoller erster Schritt, seinen eigene Zeitstatus zu ermitteln: Wie sieht mein normaler Alltag aus, wieviel Zeit verwende ich aktuell auf Arbeit, auf Familie, auf Haushalt, Freizeit, und auf sich selbst etc., um daraus abzuleiten, was ich ändern möchte und wo ich eigentlich hin will. Für was möchte ich mir mehr Zeit nehmen, weil es mir guttut und welche Dinge sind in meinem Alltag gesetzt.
Am besten ist es, in einem zweiten Schritt, Ziele zu formulieren. Erst mit Zielen im Blick, wissen wir wohin es geht. Ziele sind dann am besten umsetzbar, wenn sie „smart“ formuliert werden, also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Denn „mehr Zeit für die Familie haben“ ist ein Ziel, welches man nie erreichen kann, aber sich in der Woche zwei Stunden mehr vorzunehmen, um abends mit der Familie Brettspiele zu spielen, ist schon viel smarter, weil das Ziel viel klarer wird. In einem der nächsten Blogs werden wir uns nur mit Zielen und Zielsetzung auseinandersetzen – ein weites Feld.
Die eigene „Zeitpersönlichkeit“ ergründen
Neben den Zielen sollten wir einen Blick in unseren „Werkzeug-Kasten“ auf die Tools werfen, die uns helfen, die Ziele auch wirklich und vor allem nachhaltig in die Umsetzung zu bringen. Aber welche Werkzeuge helfen uns oder sind für uns effizient? Hier kann uns das Orakel von Delphi einen Hinweis geben, wo über dem Eingang gestanden haben soll: „Erkenne Dich selbst“. Im Management Kontext gelingt das womöglich mit einer Typologie, die uns hilft zu ergründen, was uns antreibt. Wir selbst arbeiten mit dem W.E.R.T.-Modell[3] (Leit(W)olf, (E)ntdecker, (R)ealisator, (T)eamplayer) und so kann man seine eigenen Präferenzen und seine bevorzugten Werte herausfinden, als Realisator*in oder LeitWolf*in kann womöglich eine To-Do Liste oder eine App wie Toodledo[4] hilfreich sein, während ein Entdecker womöglich mehr mit Simplemind[5] anfängt und mit dieser Mindmapping-App seine Aufgaben visualisiert und assoziativ erfasst. Ein Teamplayer ist wahrscheinlich für die ForestApp[6] dankbar, die auf dem Pomodoro-Prinzip[7] aufbaut und hilft, konzentriert zu bleiben und so den eigenen Tagesablauf in 20 Minuten-Abschnitten effizienter zu gestalten. Die Auswahl der Werkzeuge ist inzwischen groß, weil auch der Bedarf adressiert wird, so setzten die Deutschen in einer Umfrage 2016 Apps für Selbstoptimierung sowie Zeitmanagement auf die Plätze zwei und drei der häufigsten Nutzung[8] von Apps auf dem Smartphone.
Die A-L-P-E-N besteigen
Das Thema „Zeit und Finden“ seiner eigenen Zeitpersönlichkeit gleicht für viele eher einer Bergtour als einem schnellen Sprint. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die ALPEN-Technik[9] von Lothar J. Seiwert bei unseren Zeitkompetenz-Seminaren auf großes Interesse bei den Teilnehmenden stößt und viel nachgefragt wird, denn die Methode von Aufgaben, Termine und geplante Aktivitäten notieren, Länge bzw. Zeit einschätzen, Pufferzeiten einplanen, Entscheidungen treffen und Nachkontrolle ist eine Art Schweizer Taschenmesser der Zeit-Souveränität. Die ALPEN-Methodik nimmt Herangehensweisen für unterschiedliche Typen auf, orientiert sich an der Lebenswirklichkeit und ermöglicht so die Chance, die inneren grauen Herren – gleich mehr dazu – zu besiegen. Aber auch hier gilt: ausprobieren, ob es passt und im Alltag anwendbar ist, oder sich auf die Suche nach einer weiteren passenden Methode machen.
Die inneren grauen Herren besiegen
Die grauen Herren sind bei Momo die glatzköpfigen Agenten der „Zeitsparkasse“. Sie versuchen, die Menschen dazu zu bringen, Zeit zu sparen. Die Folge: die Menschen werden immer hastiger, ihre Mitmenschen interessieren nicht mehr, weil immer mehr Aufgaben in immer kürzerer Zeit erledigt werden. Aber was passiert mit der gesparten Zeit? Im Buch Momo wandert die gesparte Zeit als getrocknete Zeitblumen in die Zigaretten der grauen Herren. So lange die grauen Herren rauchen, existieren sie, sobald die Zigarette erlischt, verschwinden auch die grauen Herren. Wer „verraucht“ unsere Zeit? Und ist es erstrebenswert immer mehr Aufgaben in immer kürzerer Zeit zu erledigen und sich dabei selbst zu verlieren?
Oder wäre es nicht schön, souverän mit der eigenen Zeit umzugehen und statt sich in das Abarbeiten von Aufgaben zu verlieren, sich den Satz zu eigen zu machen, den mir ein Freund letzthin schenkte: „Erst grübeln, dann dübeln“- um dann das richtige zu tun.
Aber erinnern wir uns zum Schluss nochmals an Momos Satz:
„Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“ MOMO
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass Sie anfangen zu leben.
Daniel Wensauer-Sieber war viele Jahre im Kampf gegen die eigene ToDo-Liste bis er festgestellt hat, dass dieses Werkzeug so gar nicht seinem Entdecker-Typus entspricht. Er arbeitet zwar immer noch an seiner eigenen Zeitsouveränität, „entdeckt“ immer wieder neue Tools, die auch den Seminaren zugutekommen, die er gemeinsam mit seiner Frau Elke Sieber zum Thema gibt. Heute hat er einen gelassener Zugang zum Thema Zeit und seinem eigenen Zeitmanagement.
Fußnoten:
[1] Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse – AWA 2019
[2] Quelle: https://www.dak.de/dak/bundesthemen/gute-vorsaetze-2019-2112658.html
[3] Mehr Informationen unter: http://www.wert-profil.de/?lang=de_de
[6] https://apps.apple.com/de/app/forest/id866450515
[7] Quelle: https://www.impulse.de/management/selbstmanagement-erfolg/pomodoro-technik/7292581.html
[8] Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/655702/umfrage/nutzung-von-apps-und-smart-services/